Vergangenen November ist enorm viel Schnee gefallen, oben in den Karnischen Alpen. Der Schnee war nass und schwer. Ideal für den nordseitigen Eiskar-Gletscher. Der Schnee blieb liegen und ist am Eis angefroren“, freut sich Gerhard Hohenwarter. Seit 1981 zieht es den pensionierten Villacher Gymnasialprofessor (Geografie & Geschichte) mehrmals pro Jahr ins Eiskar. Um zu sehen, wie es dem Gletscher geht und um ihn im Auftrag des Österreichischen Alpenvereins zu vermessen. Zusätzlich zum auf den Gletscher gefallenen Schnee sorgen Lawinen, die von den gestuften, ihn umrahmenden Felswänden abgehen, für weiteren Schnee-Nachschub. „Anfang Juli 2020 haben wir noch zwölf und mehr Meter Schnee gemessen, die am Gletschereis liegen. Bis jetzt verläuft das heurige Jahr günstig für das Eiskar, auch weil es kaum heiße Schönwetterphasen, aber viele kalte Nächte gab“, weiß Hohenwarter. Er rechnet damit, dass ein Teil des Schnees den Sommer überdauert. „Heuer dürfte es nur geringe Verluste an Eismasse und kaum Längenverluste geben“, hofft er.

 

Wegloses Gelände

Das Eiskar liegt versteckt und kaum einsehbar unterhalb der mächtig aufragenden Felswände der Kellerwand im Gebiet der höchsten Gipfel der Karnischen Alpen. Der Marsch dorthin ist weit, schwierig und weglos. Vom Plöckenpass im Osten finden nur Ortskundige hin. „Beim ersten Besuch im Jahr, Anfang Juni, sind wir auf die Hilfe von Bergführern angewiesen. Alleine wäre es zu schwierig und zu gefährlich“, verlangt die Tour Gerhard Hohenwarter, selbst nach über 100 Vermessungen, viel Respekt ab. Die beste Möglichkeit einen Blick von oben auf das Eiskar zu werfen, bietet der Kollinkofel (2.691 m). Mit Ausgangspunkt Plöckenpass (1.357 m) sind für die Alpintour (Steige, teils ausgesetzt, teils leichte Kletterei, 1.400 hm) via Grüne Schneid insgesamt 6 bis 8 Stunden einzuplanen. Alternativ bzw. als Rückweg können die Steige Nr. 146 vorbei an La Scaletta und Nr. 171 genützt werden.

Bildergalerie: Der Eiskar-Gletscher und die Vermessungsarbeit der Hohenwarters

Gletscher als Leidenschaft

Gerhard Hohenwarter lebt seine Begeisterung für Gletscher nicht nur in den Karnischen Alpen aus. Er beobachtet und vermisst das Lassacher Kees in der Ankogelgruppe. Und er kümmert sich im Rahmen offizieller Gletschermessungen um das abgelegene Freiwandkees in der Glocknergruppe. Seine Leidenschaft für das Naturphänomen Gletscher hat auf seinen Sohn, den ZAMG-Meteorologen Gerhard Hohenwarter jun., abgefärbt. Der Junior ist mittlerweile offiziell für die Messungen im Eiskar zuständig. Ähnlich wie die Villacher Familie ziehen die gewaltigen alpinen Eismassen auch die Gletscherforscherin Andrea Fischer und den Alpin-Fotografen Bernd Ritschel seit Jahrzehnten in ihren Bann. Sosehr, dass die beiden nach über drei Jahren Vorbereitung kürzlich ihr Buch „Alpengletscher – Eine Hommage“ fertiggestellt haben. „Bernd Ritschel als Fotograf und ich als Wissenschaftlerin sind unabhängig voneinander seit Jahrzehnten im Hochgebirge unterwegs. Am Beginn des Buchprojekts stand der uns verbindende Gedanke, dass es zum Phänomen Gletscher noch viel zu vermitteln gibt“, erzählt Andrea Fischer. „Die Gletscher anders zu betrachten, ihr Wesen darzustellen, Umbrüche und Veränderlichkeit zu zeigen, aber auch die Schönheit und Stille emotional zu vermitteln, all das wollen wir mit dem Buch“, betont die Gletscherforscherin. Auf den ersten Blick ist das Buch ein prächtiger Bildband. Wer zu lesen beginnt, findet Hintergrundinformationen zum Klima, zur Gletscherforschung u.v.m., die griffig und verständlich aufbereitet sind. „Insgesamt wollen wir mit dem Buch erreichen, dass im Kopf des Lesers eine eigene, persönliche Gletscher-Geschichte entsteht. Die ersten Rückmeldungen bestätigen, dass uns das gelungen ist“, freut sich Fischer.

Im Bild: Das Breithorn mit dem Theodulgletscher in den Walliser Alpen – fotografiert von Bernd Ritschel

„Es war für mich in jungen Jahren das Faszinierendste und Intensivste am Bergsteigen, mit Steigeisen ausgerüstet einen Gletscher zu betreten. Das war der Beginn einer bis heute andauernden Leidenschaft“, berichtet Fotograf Bernd Ritschel. Aus fotografischer Sicht seien die Gletscher für ihn besonders spannend, gerade wegen ihrer beständigen Veränderung. „Sie zeigen uns in wahrnehmbarer Geschwindigkeit, auf einer Scala von Jahren und Jahrzehnten, dass sich die Welt ändert“, fasst Forscherin Fischer zusammen. „In den letzten Jahren bin ich, ausgelöst durch das starke Schrumpfen, bezogen auf Gletscher, immer trauriger geworden. Durch die Arbeit am Buch hat sich meine Sichtweise gewandelt. Dort wo noch vor fünf Jahren Eis war, wird es grün und es wachsen wunderschöne Blumen. Das Gletscher-Vorfeld hat seine eigene Faszination“, ist der Fotokünstler von der Anpassungsfähigkeit der Natur begeistert.

Alpengletscher - Cover des Buches
Alpengletscher – Cover des Buches

Alpengletscher – Das Buch

Zwei leidenschaftliche Gletscherliebhaber – Wissenschaftlerin Andrea Fischer und Alpinfotograf Bernd Ritschel – haben Verlagsprofis (Tyrolia) und Druck-Künstler (Printer Trento) mit ihrer Begeisterung angesteckt. Nur so lässt sich das Entstehen dieses prächtigen, informativen Buchs erklären. „Alpengletscher – Eine Hommage“ setzt einem Phänomen, das es schon in wenigen Jahrzehnten so nicht mehr geben wird, ein informativ-emotionales Denkmal.

Das Buch: Alpengletscher – Eine Hommage, von Andrea Fischer und Bernd Ritschel. 256 Seiten, Tyrolia-Verlag, 2020, € 39,–

Infos: www.tyroliaverlag.at | A. Fischer www.oeaw.ac.at | B. Ritschel www.lightwalk.de

Rückzug seit 1850

„Seit dem Höhepunkt der letzten kleinen Eiszeit um 1850 gehen Gletscher mit zweimaliger Ausnahme – um 1920 und 1965 bis 1980 – tendenziell zurück. Kleine Gletscher wie das Eiskar sind während der Erholungsphasen sogar ein wenig gewachsen“, weiß Gerhard Hohenwarter. „Der Unterschied zu früher ist, dass sich die Erwärmung durch Zutun des Menschen extrem beschleunigt“, analysiert Fotokünstler Ritschel. „Den statischen Gletscher gibt es nicht. Sie waren und sind immer in Bewegung. Auch, dass sie seit 1850 zurückgehen ist Faktum. Neu sind die besonders starken, sichtbaren Rückgänge. Die Gletscher zeigen uns beispielhaft vorweggenommen, zu welchen Auswirkungen die Erwärmung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts führen dürfte“, erläutert Wissenschaftlerin Fischer. „Aus heutiger Sicht bleibt uns die gletscher-ungünstige Klimaentwicklung erhalten. Das führt dazu, dass in 30 bis 40 Jahren das Eiskar abgeschmolzen und nur noch am Wandfuß ein kleiner Eissaum erhalten sein dürfte“, erwartet der Villacher Professor.

Bildergalerie: Gletscher-Prachtbilder von Fotokünstler Bernd Ritschel

Das Eiskar & die Hohenwarters

  • Das Eiskar ist Österreichs südlichster Gletscher und der einzige in den südlichen Kalkalpen in Österreich
  • Lage: Karnische Alpen, westlich des Plöckenpasses, unterhalb der Kellerwand (Kollinkofel, 2.691 m & Kellerspitzen, 2.774 m)
  • Einer der am niedrigsten liegenden Gletscher der Alpen (2.120 m bis 2.370 m)
  • Fläche: Etwa 15 Hektar
  • Erreichbarkeit: weit, sehr schwierig, keine markierten Wege
  • Tourentipp: Das Eiskar „von oben“, vom Kollinkofel (2.691 m). Prächtige, fordernde Alpintour inklusive leichter Kletterpassagen vom Plöckenpass auf markierten Steigen

 

Die Hohenwarters

  • Gerhard Hohenwarter sen. ist pensionierter Professor für Geografie und Geschichte am Gymnasium Villach-Perau
  • Gerhard Hohenwarter jun. ist Meteorologe und Mitarbeiter der ZAMG Kärnten
  • Infos: Berg-Blog von Gerhard Hohenwarter jun. www.feiersinger.jimdo.com
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Die Lage: Der Eiskar-Gletschers in den Karnischen Alpen – im Osten der Plöckenpass, im Westen die Hohe Warte als höchster Gipfel