Klettersteige öffnen Bergsportlern den Zugang in alpines Steilgelände, die dorthin ohne Klettersteig nie vordringen könnten. Dass Route und Schwierigkeit von vorne herein klar sind, macht sie leichter einschätzbar. Und man kann, im Gegensatz zum klassischen Klettern, auch alleine unterwegs sein“, betont Herbert Raffalt, Bergführer und Alpinfotograf aus Haus im Ennstal. „Während in Österreich, Deutschland und der Schweiz erst in den letzten zwei Jahrzehnten viele Klettersteige entstanden sind, gibt es sie bei uns in den Südtiroler Dolomiten schon sehr lang“, vergleicht Erwin Steiner, Bergführer und Produktentwickler der Alpinschule Globo Alpin in Toblach in Südtirol. „Die allermeisten davon sind bereits im Ersten Weltkrieg als Kriegssteige entstanden und wurden später fürs Bergsteigen umfunktioniert“, erzählt Steiner. Das betrifft etwa die am Paternkofel, am Monte Piano oder am Toblinger Knoten. Der Zulauf zu diesen traditionsreichen Dolomiten-Klettersteigen ist schon lange hoch. „Klettersteiggehen hat bei uns schon vor zehn Jahren zu boomen begonnen und es sind in vielen Regionen neue Klettersteige entstanden. Heute ist das Interesse auf hohem Niveau stabil“, analysiert Raphael Eiter, Bergführer im Pitztal in Tirol. Er zeigt sich vom Klettersteiggehen begeistert: „Das für mich coole daran ist, dass Einsteiger, wenn sie die Technik unter professioneller Anleitung gründlich erlernen und üben, in der Folge ohne Expertenhilfe auskommen und auf eigene Faust unterwegs sein können.“

Die ExpertInnen

 

Kerstin Pirker
Maltatal im Kärntner Teil des Nationalparks Hohe Tauern
www.maltatal.com | www.maltatal.rocks

Raphael Eiter
Bergführer im Pitztal in Tirol
www.raphaeleiter.com

Herbert Raffalt
Bergführer und renommierter Alpinfotograf, Haus im Ennstal
www.raffalt.com

Gerhard Schaar
Passionierter Kletterer und Leiter von Climbers Paradise Tirol
www.climbers-paradise.com

Erwin Steiner
Bergführer & Produktentwickler Alpinschule Globo Alpin, Region Drei Zinnen in Südtirol
www.globoalpin.com

Behutsam steigern

„Klettersteig-Einsteiger sollten sich behutsam von leicht zu schwerer herantasten und zuerst deutlich unter ihrem Leistungsmaximum unterwegs sein, um Einhäng- und Umhängtechnik sowie das Steigen im Fels sicher zu beherrschen. Erst dann sollten die Länge der Klettersteige, der Schwierigkeitsgrad oder die Tour-Gesamtdauer gesteigert werden“, rät Raffalt. Er empfiehlt zu Beginn jedenfalls einen Kurs zu machen, bei dem man von einem Profi Technik und Taktik in Sachen Klettersteig direkt während des Tuns im Klettersteig vermittelt bekommt. „In der Ramsau kann man in Einsteigerkursen sogar einen ‚Klettersteigschein‘ machen“, weiß der Alpinfotograf. Auch bezüglich Ausrüstung solle man sich bei Profis informieren und eventuell am Beginn verschiedene Klettersteigsets ausleihen, um auszuprobieren, welches Modell einem am meisten behagt. „Das Schöne am Klettersteiggehen ist, dass der ganze Körper im Einsatz ist. Deshalb sind Ausdauer, Kraft und Körperstabilität wichtig“, rät Raffalt Neueinsteigern, aber auch Erfahrenen vor dem Start in die Saison zu Konditions- und Kraft-Ausdauertraining. „Will man ambitioniertere Klettersteige ab Schwierigkeitsgrad C und D gehen, rate ich dazu, die Armkraft, konkret Kraft-Ausdauer mit vielen Wiederholungen gezielt zu trainieren, weil wenn es sehr steil ist, Kraft im Oberkörper nötig ist“, schlägt Bergführer Eiter in die gleiche Kerbe. Und noch ein Tipp: Sich Schritt für Schritt wieder an sein Leistungslevel heranzutasten gelte am Saisonanfang auch für erfahrene Klettersteiggeher. „Das liegt nicht zuletzt an den mentalen Herausforderungen. Immerhin befindet man sich – was nicht alltäglich ist – hundert und mehr Meter über dem Boden“, weist Raffalt auf die Psyche als nicht zu unterschätzenden Faktor hin.

Sicher am Klettersteig

„Eine solide Tourenplanung, bei der alle Teile der Route hinterfragt werden, ist ganz wichtig“, wirft der Pitztaler Raphael Eiter ein. „Die Sicherheit betreffend, rate ich, auch wenn der geplante Klettersteig im Normalfall gut bewältigbar ist, die Tour nicht zu unterschätzen. Das betrifft etwa die Möglichkeit unplanmäßig deutlich länger unterwegs zu sein oder mit unerwartet kalten Bedingungen sowie einem Gewitter konfrontiert zu sein“, mahnt Bergführer Raffalt. „Das Wetter ist ein wesentlicher Risikofaktor. Früh zu starten ist wichtig, denn es gibt bei uns im Sommer am Nachmittag häufig Gewitter. Während eines Gewitters noch im Klettersteig zu sein, ist unbedingt zu vermeiden. Denn das Stahlseil wirkt wie ein Blitzableiter. Deshalb muss man während des Gewitters weg vom Seil“, gibt Dolomiten-Experte Steiner zu bedenken. Ein weiterer Sicherheitsfaktor ist, zusätzlich zum Aufstieg den Abstieg gleichwertig zu beachten. „Die Tour ist erst fertig, wenn man wieder im Tal ist, nicht schon oben am Gipfel“, mahnt Bergführer Steiner zur Vorsicht. Denn während die Konzentration bei der Planung oft nur am Aufstieg liegt, der dank informativer Klettersteig-Topos (online oder in Klettersteigführern) meist gut einschätzbar ist, bleibt der Abstieg meist unbeachtet. „Es gibt zahlreiche sehr schwierige, manchmal auch sehr lange Abstiege, die ähnlich fordernd sein können wie der Aufstieg. Und während Klettersteige oft sonnenseitig liegen und dadurch schon früh schneefrei sind, muss man beim Abstieg, etwa wenn er nordseitig erfolgt, oft bis weit in den Sommer hinein mit Schnee rechnen“, weiß Alpinprofi Raffalt. Teil der Tourenplanung muss es deshalb sein, zu hinterfragen, wie im späten Frühjahr und in der ersten Sommerhälfte die Restschneelage in hohen, nordseitigen Streckenbereichen ist. „Nur weil im eigenen Garten schon lang kein Schnee mehr liegt, heißt das nicht, dass auch am Berg der Schnee bereits geschmolzen ist“, warnt der Südtiroler Steiner.

„Die eigene Sicherheit am Berg hängt zu allererst von einem selbst und seinem Können ab, nicht von der Ausrüstung“, rät Bergprofi Steiner dazu, sich nicht primär auf die Ausrüstung zu verlassen. Jedenfalls gelten bei der Ausrüstung Klettergurt, Klettersteigset und Helm als Standard. „Von zu leichten Schuhen rate ich ab. Man steht sehr oft auf Eisenstiften. Das kann mit zu weichen Sohlen schmerzhaft sein. Deshalb sollten die Schuhe stabil sein“, empfiehlt Raffalt. „Auch wenn Klettersteige gewartet und gepflegt werden, kann es trotzdem sein, dass es durch kurzfristige Wettereinflüsse von einem Tag zum nächsten Schäden gibt, mit denen man umgehen können muss“, bringt Steiner einen weiteren unterschätzten Aspekt ein.

Kinder am Klettersteig

„Kinder sind meist viel schneller für einen Klettersteig zu begeistern, als sie zum Wandern zu bewegen sind. Wichtig ist, dass sie zusätzlich zu ihrem Klettersteigset von einem Erwachsenen gesichert werden, weil sie selbst noch nicht in der Lage sind das Risiko einzuschätzen“, spricht Erwin Steiner aus Erfahrung. Bis zu einem Alter von um die 12 oder 13 Jahre gilt, so die Experten, die Zusatzsicherung als Pflicht. Will man mit Kindern auf Klettersteigtour gehen, sollte man den geplanten Steig kennen und anhand der Fähigkeiten des Kindes abschätzen, ob es diesen sicher bewältigen kann. Überdies gilt es zu bedenken, dass Klettersteigsets erst ab einem Mindestgewicht von 40 Kilo garantiert auslösen. Und oft sind die Entfernungen zwischen den Tritten bzw. die Abstände im Klettersteig für Kinder zu groß. Das kann den Schwierigkeitsgrad für die Kleinen deutlich erhöhen. „Ein Erwachsener soll nur ein Kind sichern und als Grundvoraussetzung über fundierte Kletter-Seiltechnik verfügen“, mahnt Raffalt. Zusätzlich solle man für Touren mit Kindern nicht zu schwere, nicht zu lange Klettersteige wählen. „Es gibt bei uns im Ennstal zahlreiche leichtere Klettersteige, etwa in der Ramsau oder am Stoderzinken, die auch gut für Kinder geeignet sind“, weiß der Profi.

Spannende Klettersteig-Reviere

„Die Region Schladming-Dachstein zeichnet sich dadurch aus, dass es sehr viele grundverschiedene Klettersteige, etwa in der Ramsau oder am Stoderzinken, zu entdecken gibt und sich durch den Zugang zum Dachstein prächtige hochalpine Klettersteigmöglichkeiten auftun“, ist Raffalt von der enormen Vielfalt seiner Heimat begeistert. Seine Geheimtipps, weil prächtig und nicht sehr frequentiert, sind der Amon Klettersteig am Dachstein. Er verbindet Adamek- und Simonyhütte. Und der Ramsauer Klettersteig, einer der ersten Klettersteige der Neuzeit in der Region. Er führt von der Edelgrieshöhe Richtung Guttenberghaus.

„Die Herangehensweise der Klettersteigbauer im Ersten Weltkrieg in den Südtiroler Dolomiten war, nicht über senkrechte Felswände hinauf, des Spaßfaktors wegen Steige anzulegen, sondern es wurden natürliche Strukturen, etwa Kamine genützt, um nach oben zu kommen. Daher sind sie in der Regel nicht sehr schwierig, dafür aber umso interessanter und geschichtsträchtiger“, weiß Dolomitenexperte Steiner. Für ihn sind Klettersteige nicht primär sportliche Einrichtungen, bei denen es um Schwierigkeit und Herausforderung geht, sondern sie ermöglichen Touren, die ohne sie nicht machbar wären. „Klettersteige geben auch Nicht-Kletterern die Chance, in eine steile Dolomitenwand einzusteigen“, nennt er dafür als Beispiel. „Bei uns in der Region Drei Zinnen gibt es sehr bekannte Touren, die aufgrund dessen auch stark frequentiert sind. Gleichzeitig gibt es in unmittelbarer Nähe, etwa in der Cadini-Gruppe oder der Cristallo-Gruppe, überaus attraktive Klettersteige, auf denen ungleich weniger Bergsportler unterwegs sind“, rät Steiner auch Touren abseits der bekanntesten zu wählen. Zusätzlich bieten sich die Dolomiten an, sie während Mehrtagestouren auf Klettersteigen zu durchqueren. „Wir von Globo Alpin bieten zahlreiche Dolomiten Klettersteig-Durchquerungen an. Etwa durch die Pala- oder die Brenta-Gruppe. Dabei sind Klettersteige Mittel zum Zweck, weil man sie zwingend braucht, um die einzelnen Etappen bewältigen zu können“, weist der Südtiroler auf besonders eindrucksvolle Klettersteig-Highlights hin.

Das Pitztal ist eines von enorm vielen spannenden Klettersteigzentren in Tirol. „Tirol zeichnet sich neben der Dichte an Angebot durch ein hervorragendes Niveau der Wartung und Gesamtqualität der Klettersteige aus“, betont Gerhard Schaar von Climbers Paradise Tirol. Im Pitztal gibt es drei Klettersteig-Reviere. „Die Steinwand in Arzl bietet mehrere Varianten unterschiedlicher Schwierigkeit. Das Angebot in Jerzens ist speziell auf Kinder und Einsteiger ausgelegt. Unser Highlight aber sind die vier Klettersteige des Kletterparks Pitztaler Gletscher mit Ausgangspunkt Gasthof Gletscherstube“, beschreibt Raphael Eiter, was sein Tal zu bieten hat. Seit Tourentipp lautet: Den Murmeltiersteig oder den Steinbocksteig aufzusteigen und dann weiter entlang des Großen Mittelbergferners begleitet von herrlichem Alpin- & Gletscherpanorama bis zur Bergstation des Gletscherexpress weiterzugehen.

Das Maltatal in Kärnten, das hinein in den Nationalpark Hohe Tauern führt, ist im Sommer und Winter alpinistisch überaus attraktiv. „Unser Klettersteig-Hit ist der am Fallbach, direkt neben Kärntens höchstem Wasserfall. Der zweiteilige Steig ist im untersten Bereich auch für Einsteiger machbar. Der obere, deutlich längere ist sehr schwierig (Kategorie E) und nur für passionierte Klettersteiggeher machbar“, beschreibt Kerstin Pirker das Angebot im Maltatal. Gut für Einsteiger geeignet, doch aufgrund der Lage nahe der monumentalen Staumauer, nur via Mautstraße erreichbar, ist der Kölnbreinsperre Klettersteig mit mehreren leichteren Steigvarianten.

Klettersteig – Basics & mehr

 

Klettersteigtouren führen ins alpine, felsige, oft senkrechte Gelände. Ohne Klettersteige wären diese Routen nur für kletternde Könner zugänglich. Die Stahlseil-Versicherungen sind gute Orientierungshilfen. Und sie geben Sicherheit. Denn sie verhindern (bei korrekter Anwendung der Ausrüstung) Totalabstürze. Weil jedoch jedes Stürzen ins Klettersteigset unweigerlich Verletzungen zur Folge haben würde, gilt: Im Klettersteig ist stürzen „verboten“!

Einsteiger
  • Nie ohne Kurs! Ohne professionelle Einführung durch einen Profi sollte man sich keinesfalls auf einen Klettersteig wagen
  • Klettererfahrung, etwa in der Halle, ist von Vorteil, aber kein Muss
  • Gute Grundkondition, Beweglichkeit, Bein- & Armkraft
  • Trittsicherheit & Schwindelfreiheit
  • Sich fordern und an die eigenen Grenzen gehen ist gut und wichtig. Sich oder KlettersteigpartnerInnen zu sehr und zu oft zu überfordern jedoch nicht
Ausrüstung – Klettersteig-Basics
  • Klettergurt (Hüftgurt)
  • Klettersteigset (mit einem Dämpfer, der einen Sturz nicht extrem abrupt, sondern körperschonender stoppt)
  • Rastschlinge (Bandschlinge & intuitiv gut bedienbarer Karabiner)
  • Kletterhelm
  • Klettersteig-Handschuhe (Full- oder Halffinger)
  • Rucksack ohne abstehende, herunterhängende Teile
  • Fels- und klettertaugliche, nicht zu weiche Schuhe, etwa „Zustiegschuhe“
Berg-Basics
  • Erste-Hilfe-Set
  • Rettungsdecke
  • Biwaksack
  • Voll geladenes Smartphone
  • Stirnlampe
  • Isolations- und Regenjacke
  • Kartenmaterial (Print und/oder digital)
Saisonstart für Fortgeschrittene
  • Starten mit leichteren, nicht sehr langen Klettersteigen, die mit kurzen Zustiegen erreichbar sind
  • Tritte sowie Ein- & Umhängtechnik bewusst und exakt ausführen
  • Die Höhe wieder bewusst spüren, um zu sehen, wie man sich heuer dabei fühlt
  • Auf- und absteigen im Klettersteig üben
  • Behutsam steigern und sich nach einer Reihe von Touren erst wieder ans Leistungsmaximum der Vorjahre heranwagen